Vor vielen Jahren lebte einmal ein König, der hatte drei Töchter. Eines Nachts überlegte er:

Ich werde älter und habe keinen Sohn als Nachfolger. Eine meiner Töchter wird sicher eine gute Königin sein. Aber welche wäre die beste? Alle drei sind lieblich, warmherzig und klug. Ich werde sie prüfen, um heraus zu finden, welche am geeignetsten ist. Er rief sie zu einem ernsthaften Gespräch zu sich:“ Meine lieben Töchter. Es ist nun an der Zeit, zu entscheiden, wer von euch nach mir einmal Königin über dieses Land werden soll.“

Die drei Schwestern waren ausser sich: „Vater, wir wollen nicht Königinnen werden, wir wollen, dass du immer für uns da bist.“ Der König entgegnete ernst: “Eines Tages muss ich wie jeder Mensch diese Welt für immer verlassen. Ich möchte euch aber nicht in Zwietracht zwischen euch dreien zurücklassen. Deshalb regeln wir nun meine Nachfolge.
Wenn ihr mich auf die rechte Weise liebt, dann liebt ihr auch mein Volk und seid würdig,
es zu regieren. Deshalb nun meine Prüfung: Wie liebt ihr mich?“ und er fragte zuerst seine älteste Tochter. Sie antwortete: „Vater, ich liebe dich mehr als alle Diamanten, Perlen und Edelsteine der ganzen Welt“. Und der Vater war zufrieden. Nun fragte er seine zweite Tochter. Sie überlegte und sagte: „Ich liebe dich mehr als Gold und Silber und alles
Geld der Welt“. Und der Vater war zufrieden.

Er wandte sich nun an seine jüngste Tochter, die erst fünfzehn Jahre alt war und ihm sehr am Herzen lag. „Meine Kleine, wie liebst du mich?“ „Ach Vater“, antwortete sie, „ich liebe dich mehr als Salz.“ „Du liebst mich mehr als Salz, ist das dein Ernst?“ „Ja, Vater, du bist mir lieber als Salz“.

 

Da ward der König zornig und schickte seine jüngste Tochter fort: „Ich will dich nie wieder sehen! Du hast mich beschämt. Salz ist ein wertloses Ding auf Erden. Morgen früh wirst du fortgehen, du bist von mir verbannt.“

Am nächsten Tag verliess die kleinste der Königstöchter traurig das Schloss, um ihren eigenen Weg in der Welt zu finden. Sie ging ihres Weges und wusste nicht wohin. Sie kam zu einem grossen Wald und fand darin einen kleinen Pfad. Er führte sie viele Meilen weg vom Königshaus mitten in den Wald, zu einer unscheinbaren Hütte. „Vielleicht finde ich hier Unterkunft“, dachte die Prinzessin, müde und hungrig vom langen Gehen. Sie klopfte an die Tür. Eine alte Frau mit langen weissen Haaren und einem geflickten Rock öffnete die Tür. „Was machst du hier im Wald, meine liebe Tochter?“ „Ach, das ist eine lange und traurige Geschichte. Ich suche einfach Unterkunft für diese Nacht.“ Wo in der Welt willst du denn hin?“ Und die Prinzessin antwortete: „Nirgendwo hin. Ich bin unterwegs, weil mich mein Vater fortgeschickt hat.“„So komm herein, wärm dich, iss etwas und erzähl mir dann deine Geschichte“. Und die Alte führte das Mädchen in einen schlichten Raum aus rohem Holz und tischte ihm ein einfaches Essen auf. Sie legte mehr Holz in den Kamin und setzte sich daneben. Beim Feuer sass eine grosse schwarze Katze, die nun zum Tisch kam, sich an die Knie der Besucherin schmiegte und zu schnurren begann.
Die alte Frau tat erstaunt: „Ich habe selten Besuch und selten ist jemand freundlich zu meiner Katze. Sie kann gute und böse Absichten wittern und dich mag sie.“

Dann erzählte die Königstochter ihr bisheriges Leben. Die alte Frau meinte zum Schluss: „Deinem Vater muss eine Lehre erteilt werden. Vielleicht wird er eines Tages froh sein, dich wieder zu sehen“.

Nach einiger Zeit geschah etwas Seltsames im Königreich: Das Salz ging aus und kein neues gelangte mehr ins Land. Keine Salzlieferung erreichte mehr das Schloss.
Dem König wurden seine Leibspeisen wie Braten und Fisch gekocht, aber ohne Salz schmeckten sie nicht mehr. Er sandte Boten aus, aber alle kamen unverrichteter Ding zurück und berichteten, das weit und breit kein Salzkorn mehr zu finden sei. Und der König wurde mürrisch und krank.

Seine jüngste Tochter lebte in der Waldhütte ein bescheidenes und zufriedenes Leben bei der Alten. Sie lernte kochen, putzen, Nahrung im Wald finden, Kräuter sammeln und verarbeiten, Feuerholz schlagen und alle wichtigen Dinge. Sie wurde der Alten lieb wie eine eigene Tochter und der Katze die beste Freundin. Eines Tages sprach die Frau: „Morgen werde ich traurig sein.“ „Warum wirst du traurig sein, Mütterchen“, fragte die Prinzessin. „Weil du mich verlassen musst.“ „Aber das will ich doch gar nicht, ich wüsste nicht, wohin ich gehen sollte.“

„Es ist Zeit, zu deinem Vater zurückzukehren.“ „Er wird mich nicht empfangen, er hat mich für verbannt.“ „Es gibt immer einen Weg. Ich werde dir ein anderes Kleid geben und niemand im Schloss wird dich erkennen.“ Am andern Morgen nahm die Alte eine Handvoll Russ vom Kamin und schwärzte damit das Gesicht der Königstochter. Sie schnitt ihr auch mit ihrer Schere das Haar ganz kurz ab. Dann gab sie ihr ein Säcklein Salz und sagte: „Nun heisst es Abschied nehmen. Du wirst Königin werden, weil du deinen Vater liebst wie Salz. Geh nun denselben Weg zurück, den du gekommen bist.“ Und sie umarmte die Tochter.
Die rief: „Ich komme wieder!“ „Aber erst, wenn du Königin bist!“

Die Prinzessin wusste nicht, dass die Alte einen Zauber getan hatte, der verhinderte, dass auch nur ein einziges Salzkorn zum Schloss gelangen konnte. Der König war beinahe am Sterben vor Verlangen nach Salz. Er hätte sein Königreich für eine Handvoll davon hergegeben. Als nun die verrusste junge Frau zum Tor kam, hielt sie ein Wächter an: „Was suchst du hier?“ „Lass mich zum König, ich bringe ihm ein Geschenk.“ „Du, was könntest du ihm schon bieten!“ „Ich habe ein Säcklein Salz mitgebracht“ Da wurde sie sofort vor den König geführt, der sie nicht mehr erkannte. „Warum lässt ihr ein Bettelmädchen zu mir?“ „Es bringt dir ein Geschenk, das euch erfreuen wird“. „Ach, ich wünsche mir nichts mehr, ich habe Gold und Edelsteine im Überfluss, was könnte sie mir schon bieten!“ Da trat der Koch vor: „Majestät, die Besucherin bringt ihnen Salz.“

„Oh,oh, kann es sein, Salz, wirklich Salz?“ Und er steckte einen Finger ins Säcklein und kostete, „oh, Salz, die kostbarste Sache auf Erden. Nun wandte er sich an seine Besucherin: „Was wünschst du dir dafür?“ „Vater, ich will nichts dafür, denn ich liebe dich mehr als Salz.“ Da erkannte er seine Tochter, umarmte sie und weinte. Sie wurde von allen im Palast willkommen geheissen, und als nach einigen Jahren der König starb, wurde sie Königin über das Land. Sie vergass auch nicht, die alte Frau im Wald zu besuchen und zu ehren.

 

Traditionell aus Schottland, nacherzählt von Pia Anne nach Tell me a story for Christmas von Duncan Williamson, Edinburgh ( Canongate Publishing 1987)

 

 

Es ist Dein Wille,
sich zu informieren,

aber auch Dein Wille,

dies nicht zu tun.

MatthiAs